Wer hier schon ein wenig länger liest, der weiß, dass ich den Versuch gewagt habe mich von alltäglichen Erziehungsansichten zu lösen. Ich habe begonnen zu hinterfragen und ich habe mich darauf besinnt, wie mich meine Eltern selbst „erzogen“ haben. Ich schreibe es bewusst in Anführungsstrichen, weil ich eine Kindheit hatte, an die ich gerne zurück denke. Ich habe keinen Druck bekommen, ich wurde nicht gezwungen und ich hatte das Gefühl niemals unter meinen Eltern zu stehen. Es war ein Verhältnis geprägt von Ehrlichkeit und dem Gefühl, dass meine Meinung etwas wert war. Gerade in Bezug auf Schule spürte ich, dass ich keine Nummer bin. Ich musste keine Einser nach Hause bringen, um zu gefallen.

Schule ohne Druck Hier MUSS nicht gelernt werden, aber es kann…

Heute ist mein großer Sohn fast am Ende seines ersten Schuljahres und ich habe lange darüber nachgedacht, wie es funktionieren soll: Eine staatliche Schule mit vielen, zum Teil auch unlogischen Regeln, Hausaufgaben, Vorschriften, Vergleichen, Gleichschaltung (in Bezug auf Alter und Leistungsanspruch) und dann unsere Denk- und Lebensweise, die ziemlich losgelöst von all dem ist und auf das Vertrauen beruht, dass er seinen Weg finden wird und jeder Mensch einzigartig ist.

Verstehe mich nicht falsch: Lernen ist eine gute Sache und doch gehört für mich Spaß, Freude und Leidenschaft dazu. Ich habe die Überzeugung, dass man in unsere Kinder und genauso in uns selbst nichts einfach hinein stopfen kann, sondern Begeisterung erwecken muss, damit es „hängen bleibt“. Sicher erinnern sich noch viele von uns an das „Bulimielernen“ für Klassenarbeiten. Man lernte stur auswendig, um das was dort stand auf dem Papier ausspucken zu können. Verstanden haben wir davon manchmal nichts, begriffen haben wir es oft auch nicht und wissen wollten wir es vor allem in unseren Teeniejahren auch nicht. Genau das ist es, was ich offen kritisiere, für meine Kinder eigentlich nicht möchte und doch vertraue ich darauf, dass sie – egal welche Schule – ihren Weg gehen werden, solange man im Gespräch bleibt und begleitet.

Die ersten Hausaufgaben und die ersten Tage in der Schule…

Er wollte mit seinen Freunden lernen und in die Dorfschule gehen. Schon beim ersten Elternabend hatte ich mit der verantwortlichen Klassenlehrerin ein gutes Gefühl. Sie war aufgeschlossen und machte einen engagierten Eindruck und man spürte, dass sie Kinder mochte. Das liest sich so banal, aber ich glaube es ist so unheimlich wichtig, dass man einen „Draht“ zueinander hat und vielleicht gerade dann, wenn man unterschiedliche Ansichten teilt.

Der erste Schock saß beim Sohnemann schon tief, als er bereits in der ersten Woche mit Hausaufgaben nach Hause kam. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es Tränen gab. Ich war genauso wie er überfordert mit der Situation, denn ich merkte, dass ich einen Weg finden müsste, damit sich alle Parteien wohl fühlen. Ich konnte mich nicht vollends gegen die Schule stellen und ihm sagen: „Du, egal was die Lehrer sagen. Du brauchst darauf nicht hören.“

Es wäre für mich der falsche Weg gewesen und ich hätte ihn womöglich damit den Schulalltag erschwert, ja sogar Steine in den Weg geschmissen. Nur weil ich in einigen Bereichen mit dem Schulsystem nicht konform gehe, so ist es für mich trotzdem wichtig meine Probleme ihm nicht aufzuladen und ihn dann bildlich mit einem schweren Rucksack loszuschicken. Es würde verunsichern.

Ich wollte ihn aber keinesfalls zu etwas zwingen oder gar bestechen mit Schoki oder anderen Vergnügen…

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Wie funktioniert es aber, wenn man im Alltag versucht auf unlogische Regeln zu verzichten und Willkür zu vermeiden?

Je tiefer ich in die Situation gehe, desto unlogischer erscheinen mir zum Beispiel manche Hausaufgaben. Ich weiß, dass das Ansinnen die Vertiefung des Gelernten ist. Geht man aber realistisch an die Sache, so sehe ich Folgendes: Die Kinder lernen täglich in der ersten Klasse ca. 5 Unterrichtsstunden. Mein Sohn hat eine gute Auffassungsgabe und das Erlernte dort verstanden. Er kann es anwenden. Zu Hause muss er trotzdem wie alle anderen Kinder auch durch Hausaufgaben wiederholen. Mitunter werden Buchstaben reihenweise hintereinander geschrieben, immer und immer wieder. Später sind es Worte. Das ist nicht nur an unserer Schule so – es ist eine Eigenart unseres Bildungssystems.

Eines Tages schaute er zu mir rüber und knallte das Heft hin mit den Worten: „Das ist sinnlos. Immer und immer wieder muss ich das schreiben, dabei ist es noch nicht mal ein ganzer Satz. In der Schule habe ich es doch auch schon gemacht.“ Ja, er hatte Recht. Es war unlogisch. Es war pures Wiederholen. Gehe ich in die Vorstellung, dass mein Chef mir auf Arbeit eine Aufgabe überträgt, die ich mit voller Zufriedenheit erfülle und ich dann zum Feierabend mit dem Satz verabschiedet werde: „Gute Frau, heute Abend wiederholen Sie das aber bitte nochmal, damit es sitzt.“, dann wäre ich womöglich verärgert oder enttäuscht. Kinder machen es aber, uns zu liebe und den Lehrern zu liebe und weil sie einfach Teil der Gemeinschaft bleiben möchten.

Als Mutter fasste ich mir also ein Herz und war ehrlich: „Ich finde es auch unlogisch und ich kann verstehen, dass es keinen Spaß macht, wenn man wiederholt. Ich werde dich nicht dazu zwingen diese Seiten zu bearbeiten. Ich möchte dir aber zugleich sagen, dass es in der Schule von dir erwartet wird.“ Ich erklärte ihm, dass es verschiedene Schulen gibt und es an einigen Schulen einfach so ist, dass Hausaufgaben gemacht werden (müssen). Wir haben mit ihm offen und ehrlich daraufhin auch über andere Schulformen gesprochen. Seine Entscheidung stand: Er möchte aber dort sein. Es gefällt ihm und deshalb macht er Hausaufgaben.

An diesem Tag nahmen wir jeden Druck raus. Er musste keine Fibelseiten mehr lesen. Wir lasen zusammen Legozeitschriften oder Bücher, sofern er es wollte. Wir bestanden nicht mehr auf Hausaufgaben. Er machte sie eigenverantwortlich und bat um Hilfe, wenn er sie brauchte. Er machte sie, weil ER es wollte und nicht WIR oder eine LEHRERIN. Ich setzte mich oft mit meinem PC daneben und „arbeitete“ in dieser Zeit. Es fühlte sich besser an selbst „tätig“ zu sein und es ihm vielleicht so zu erleichtern. Er schrieb mit mir Einkaufszettel oder wir backten und ich baute spielerisch Rechenaufgaben ein. Vielleicht liegt es daran, weil ich seine Mutter bin, vielleicht ist es aber auch einfach so: Er ist ein schlaues Kerlchen und in meinen Augen ist das Schlimmste, was ihm widerfahren könnte, dass er gebrochen wird und den Ansporn verliert.

Seit nun gut 6 Monaten macht er ganz selbstverständlich direkt nach der Schule seine erteilten Hausaufgaben. Es ist fast wie eine Selbstverständlichkeit geworden und oft sagt er mir auch sowas wie: „Wenn ich die Zusatzaufgaben mache, dann sehen sie, dass ich es eh schon alles kann.“ Er ist ein sehr guter Schüler und auch das Feedback der netten Klassenlehrerin zeigte mir, dass „es nicht vor dem Baum läuft“, wenn man andere Wege geht. Auf meine Info hin, dass ich ihn nicht die Fibel lesen lasse, musste sie etwas schlucken, aber meinte dann auch: Er kann es..

Neulich erzählte er mir freudig, dass er beim Ausdauerlauf der Vorletzte war (er ist sportlich gesehen kein Überflieger) und ich freute mich mit ihm. Ich will kein Kind, dass immer das Beste ist, ich will keine Pro-Version meines selbst, ich will ein Kind, dass weiß was und wer es sein möchte und diese irrsinnige Leidenschaft an naturwissenschaftlichen Themen behält. Dass er ohne Buchstaben nicht auskommen wird, dass hat er längst selbst verstanden.

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Nachwort: Ich bin nicht gegen Schule. Ich halte das Lernen für immens wichtig, aber ich sehe an mir und vielen anderen lebenden Beispielen, dass unser Schulsystem häufig auch die Lust nehmen kann und wie ich oben geschrieben habe wir gefüttert werden mit Wissen, dass wir nicht wissen möchten. In meinem Augen ist das verschenkte Zeit. Meine Hoffnung ist die, dass sich auch in ländlichen Regionen unterschiedliche Schulformen etablieren, denn nicht jeder Mensch passt in jedes System und ich würde mir wünschen, dass Homeschooling und auch Freilerner in diesem Lande nicht so verpönt wären. Hierfür müsste sich zunächst aber das Gesetz ändern zur Schulpflicht (Schulgebäudeanwesenheitspflicht), welches in Deutschland nach wie vor gilt. Ich habe Hoffnung daran, dass wir eines Tages die Potenziale unserer Kinder erkennen, denn auch der schlimmste „Klassenclown“ trägt eine Begabung in sich, die es zu finden gilt. 

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Sabrina