Tina ist auf den ersten Blick eine ganz gewöhnliche Mutter mit ähnlichen Erziehungsansätzen wie wir und doch unterscheidet sie etwas von vielen anderen Müttern: Sie hat sich dazu entschieden ihre Kinder kindergartenfrei aufwachsen zu lassen und schließt auch später schulfrei und damit das umgangssprachliche Freilernen nicht au. Was jetzt noch völlig legitim ist, könnte in ein paar Jahren schwierig werden, denn in Deutschland herrscht Schulpflicht. Wir waren von Tinas Weg so fasziniert und auch den Mut sich hinzustellen und es einfach anders zu machen, dass wir sie sehr gerne interviewen wollten.
Mamahoch2: Liebe Tina, mit deinem Video zu „kindergartenfrei“ hast du wahrscheinlich bei vielen Leuten Interesse geweckt. Ich bin mir fast sicher, dass viele Mamas davon träumen sich für die Kinder eine lange Auszeit nehmen zu können. Im gleichen Atemzug werden aber auch viele Mütter meinen, dass den Kindern dann etwas fehlt oder sie vielleicht etwas „verpassen“ könnten. Warum kann es deiner Meinung nach kein Fehler sein Kinder 5 Jahre lang oder vielleicht auch darüber hinaus selbst zu betreuen und ihnen wichtige Dinge beizubringen?Tina: Hallo erstmal, liebe Sabrina, und danke für dein/euer Interesse am Thema. Wie fange ich an? Ich denke, die Angst, dass Kinder etwas verpassen könnten, liegt vielfach darin begründet, dass wir Kinder heute oft separieren. Wir denken, Kinder müssten (hauptsächlich) mit (gleichaltrigen) Kindern zusammen sein. Das sehe ich anders. Ich hatte es ja im Video schon gesagt: Kinder brauchen meiner Meinung nach nicht nur andere Kinder, sondern in erster Linie andere Menschen. Wie viel Kontakt ein Kind braucht – eigentlich kann man es sogar verallgemeinern und sagen: wie viel Kontakt ein Mensch braucht – ist ja auch eine sehr individuelle Sache. Unser Sohn Milan zum Beispiel ist – genau wie ich – schnell in großen Menschenmengen überfordert, wird unruhig und fahrig. Unsere Tochter ist da anders, die sitzt auch ganz gerne mal mittendrin und lässt sich nicht groß stören. Da muss man eben als Mutter/Vater schauen: was braucht mein Kind? Ich habe es da mit Milan recht „einfach“, aber auch, wenn er gerne viel Action hätte, könnte ich das ja ohne Kindergarten organisieren. Achtsamkeit ist da denke ich sehr wichtig, zu schauen, was brauchen wir und was kann ich leisten.Mamahoch2: Neben dem Kontakt zu anderen Kindern erfüllt der Kindergarten natürlich auch eine (wenn auch kleiner als bei der Schule) Bildungsaufgabe. Zudem gibt es ganz verschiedene Konzepte und Ansätze. Wie versuchst du zu Hause deine Kids „fit fürs Leben“ zu machen und worauf legst du selbst wert? Findest du ein bestimmtes Konzept gut?Tina: Ich muss sagen, ich bin da recht entspannt. Ich sehe, dass die Kinder im Alltag lernen und greife ihre Interessen auf, unterstütze sie dabei. Ich bringe ihnen so gesehen auch nichts bei, weil es das meiner Meinung nach nicht braucht. Gerade in den ersten Lebensjahren lernen Kinder durchs Spielen, durchs Nachahmen. Die Kinder dürfen hier zu Hause bei allem mithelfen, wenn sie es wollen. Milan beispielsweise hilft sehr gerne beim Kochen und darf auch schon recht lange, ich schätze etwa ein halbes/dreiviertel Jahr, mit den „richtigen“ Messern arbeiten – natürlich unter Aufsicht. Und das macht er auch wirklich geschickt, er hat sich noch nie geschnitten. Er schlägt Eier sauber auf und rührt in heißen Töpfen und Pfannen. Und eben nicht, weil ich das will, sondern weil er es will. Mir ist es wichtig, dass die Kinder mit Freude lernen und mit eigener Motivation. Und ich habe auch das Vertrauen, dass sie so alles lernen, was sie im Leben brauchen. Ich habe da keine Erwartungshaltung ihnen gegenüber, weil ich genau merke, dass sie sich aus sich heraus (weiter)entwickeln. Was Konzepte angeht, ordne ich uns auch nicht zu einem bestimmten zu. Ich mag viele Aspekte der Waldorfpädagogik und ebenso gefällt mir vieles, was in Richtung Montessori geht. Ich kann uns aber nicht zu 100% einem Ansatz zuordnen. WIR sind eben „Freilerner“ und da nehme ich mir auch die Freiheit, das für uns Beste aus den verschiedenen Philosophien herauszupicken.
Mamahoch2: Das klingt alles sehr harmonisch und nah am Kind und dessen Bedürfnissen. Hast du jedoch auch Momente, wo dir das freilernen und kitafrei negative Aspekte aufzeigt? Gibt es Nachteile (davon mal abgesehen, dass es natürlich ein finanzieller Aspekt auch ist)..
Tina: Ob ich es nun Nachteil nennen würde, weiß ich gar nicht, aber es ist natürlich oft auch anstrengend. In unserem Fall bin ich ja fast komplett alleine für die Kinder zuständig, mein Mann ist selbstständiger Fahrlehrer und von morgens acht bis abends acht aus dem Haus – im Sommer mit Nachtfahrten auch mal bis nachts. Ich würde mir schon manchmal wünschen, in Ruhe aufräumen oder putzen zu können, oder auch mal einfach ein, zwei Stunden lesen zu können oder an der Nähmaschine zu sitzen. Andererseits werden die Kinder ja auch immer älter und selbstständiger, deswegen ist das denke ich mehr eine Begleiterscheinung des Lebens mit Kleinkindern und weniger des Lebens ohne Kindergarten. Für mich passt es einfach wunderbar so, ich habe aber auch Freundinnen, die sagen „Puh, also so den ganzen Tag nur mit den Kindern, das wäre mir dann auch zu viel!“ Ich finde es großartig und deswegen sehe ich keine Nachteile in dem Sinne, auch wenn ich natürlich auch froh bin, wenn Milan mal einen Tag bei Oma verbringt.
Mamahoch2: Du sprichst in deinem Video davon, dass du die Kinder zunächst einschulen möchtest, aber wenn es nicht klappt, dann vielleicht auch da zum „freilernen“ umschwenken willst. Stellst du dir den Schulstart härter vor, für ein Kind, dass nicht in der Kita war? Triffst du irgendwelche Vorbereitungen?Tina: Ja, das stimmt. Wobei ich nicht „umschwenken“ würde, ich sehe bzw. sähe uns auch mit Schule als Freilerner. Aber das nur am Rande, ich verstehe schon, was du meinst. Ich hoffe sehr, dass es in Deutschland in nicht allzuferner Zukunft legale Möglichkeiten für Kinder geben wird, die nicht ins System Schule passen. Ich finde es schrecklich, dass verantwortungsvolle Eltern, denen das Wohl der Kinder wichtig ist und die sehen, dass Schule ihrem Kind schadet, kriminalisiert werden und dass intelligente Kinder als gesellschaftliche Versager enden – ich hatte selbst einige Klassenkameraden, die ein unheimliches Potential hatten/haben und denen Schule einfach nicht gerecht wurde. Die Frage nach dem Schuleintritt wurde mir bei Instagram als Reaktion auf das Video auch noch gestellt. Ich mache mir auch da erstmal nicht zu viele Sorgen. Der Kindergarten bereitet meiner Meinung nach auch nur geringfügig darauf vor, was ein Kind in der Schule erwartet – das Stillsitzen, das Ruhigsein, das „nach Plan lernen“. Auch da hängt es denke ich mehr vom Kind ab, ob es sich in der Schule zurecht findet, als davon, ob es im Kindergarten war oder nicht. Fürs erste habe ich nicht vor, speziell auf Schule vorzubereiten. Vielleicht werden wir im Jahr vor der Schule eine regelmäßige Spielgruppe oder einen Kurs besuchen, vielleicht auch nicht, das lasse ich auf uns zukommen und schaue eben auch da, was die Kinder brauchen und wollen. Es sind ja auch noch gute drei Jahre, bis Milan schulpflichtig wird, da kann sich ja bei ihm, bei uns, aber auch gesellschaftlich so viel verändern, wozu jetzt schon die Pferde scheu machen? Ich erinnere mich da auch noch am mich selbst, am ersten Schultag habe ich mich weinend hinter meiner Schultüte versteckt und wäre am liebsten weggelaufen, weil es so neu und aufregend war – und ich war ganz normal im Kindergarten.Mamahoch2: Ich selbst kenne auch ein paar der Kinder die ihr Potenzial nicht ausschöpfen konnten / wollten / durften, weil der Unterricht sehr monoton und nach Schema F war. Obwohl ich selbst einen sehr guten Schulabschluss hingelegt habe, weiß ich aus heutiger Sicht, dass mehr möglich gewesen wäre – mein Ziel war es jedoch so schnell wie möglich der Schule den Rücken zu kehren (getreu nach dem Motto so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig). Es ist bekannt, dass man ohne entsprechenden Abschluss bei den meisten Firmen im Papierkorb landet – egal welches Know-how man mitbringt. Mir stellt sich dann oft die Frage, wie Eltern, die ihre Kids selbst beschulen es schaffen möchten, all die Grundlagen herzustellen, dass das Kind später einen anerkannten Abschluss schaffen kann und von Firmen anerkannt wird. Viele Freilerner greifen dann auf die Praxis zurück die Kids 6 Monate vor Schulende noch einzuschulen. Aber allein die Vorstellung den Kindern all das vermitteln zu müssen, was sie für die eine Prüfung brauchen – grenzt an einen harten 40 h Job (wenn nicht gar mehr). Ich weiß, dass du dich mit dem Thema schon sehr beschäftigt hast. Wie schaffen Eltern es, dieses Wissen zu vermitteln? Wie schaffen sie es überhaupt „ungestraft“ ihr Kind 10 Jahre vor der Schulpflicht zu bewahren?Tina: Zunächst vielleicht zu den Abschlüssen: die lassen sich, wie ich auch schon im Video sagte, extern machen. Da muss man sich dann natürlich intensiv vorbereiten, aber da ist ja auch die Motivation wieder eine ganz andere. Natürlich mache ich auch als Schulkind meinen Abschluss, um ins Berufsleben starten zu können, aber zu einem großen Teil ist es eben auch „weil ich muss“. Und auch da ist es bei beschulten Jugendlichen größtenteils sogenanntes Bulimielernen. War bei mir selbst nicht anders. Ich habe fürs Abi maximal ein paar Wochen gelernt, für Prüfungen vorher meist nur wenige Tage, und habe, sobald ich aus dem Raum raus war, das meiste sofort wieder vergessen. Schulfreies Lernen muss ja auch gar nicht für jeden passen, ich plädiere keinesfalls für eine Abschaffung von Schule und Kindergarten, überhaupt nicht! Ich bin kein Kindergarten- und Schulgegner, nur gibt es für uns eben bessere Alternativen (oder: sollte es geben). Und wer sich für schulfreies Lernen entscheiden, ist deswegen ja nicht alleine für die Bildung der Kinder zuständig. Man kann ja trotzdem Kurse besuchen, sich „Fachleute“ einladen oder ähnliches. Gerade in der heutigen Zeit mit Internet, Fernsehen, Videotelefonie haben wir ja unwahrscheinlich viele Möglichkeiten uns Wissen anzueignen. Was du für deine Schulzeit beschreibst, passt auch gut zu meiner eigenen. Und so geht es denke ich sehr vielen. Du fragtest noch, wie Eltern es schaffen, die Kinder ungestraft vor der Schulpflicht zu bewahren. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Manche haben einfach „Glück“ und fallen durchs Raster, werden nicht bemerkt, verhalten sich unauffällig. Wobei Glück da relativ ist, denn so ein Leben im Verborgenen ist ja auch belastend, immer die Angst, entdeckt zu werden. Einige Familien gehen den rechtlichen Weg, mit Bußgeldern, Anzeigen, teilweise sogar Freiheitsstrafen. Eine große Angst ist ja auch immer der Sorgerechtsentzug, wobei der in aller Regel erst droht, wenn noch mehr im Argen liegt, wenn also das Jugendamt auch über die Verletzung der Schulpflicht hinaus Anzeichen für Kindeswohlgefährdung sieht. Die meisten Familien fliehen tatsächlich früher oder später aus Deutschland, ziehen entweder ganz weg oder reisen mit den Kindern. So oder so: die deutsche Schulpflicht zu umgehen, ist mit einem riesigen Aufwand verbunden. Es gibt inzwischen aber einige Stellen, bei denen man Hilfe bekommt, der BVNL, der Schulfrei Bewegung und der Freilernersolidargemeinschaft beispielsweise.
Mamahoch2: Bist du der Meinung, dass man sein Kind durch kindergartenfrei oder auch schulfreie Erziehung vielleicht sogar zum „Außenseiter“ macht und ihm damit den Umgang mit Gleichaltrigen erschwert? Ein Beispiel wäre jetzt z.B. eine Vorschulgruppe in der Kita.
Tina: Es kann schon passieren, dass ein kindergarten- oder schulfreies Kind ausgeschlossen wird. Ich würde es aber umformulieren: nicht ich mache das Kind zum Außenseiter, sondern die Menschen, die es ausschließen, machen es zum Außenseiter. Wie gesagt, ich sperre die Kinder ja nicht ein und ich isoliere uns auch nicht. Wir gehen offen auf die Menschen zu, auf „normal“ erziehende und lebende genauso wie auf „alternative“ und meistens kommt dann auch Interesse und Freundlichkeit zurück. Was ich von freilernenden Kindern/Jugendlichen schon öfter gelesen/gehört habe, ist, dass die Umwelt beim Thema Schulfrei erst einmal sagt „Was? Du gehst nicht zur Schule? Bist du etwa dumm?“, dann aber meistens selbst korrigiert „Nein, ich habe dich ja jetzt erlebt, du bist nicht dumm!“ und dann sehr interessiert am Thema ist. Zum Außenseiter kann man ja in jeder Situation werden. Ich war es in meiner Jugend auch. Und auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: ich denke, das hängt sehr viel mehr mit dem Wesen des Menschen zusammen als damit, ob er nun den Kindergarten/die Schule o.ä. besucht (hat) oder nicht.
Mamahoch2: Und doch ist es aber so, dass man mit dieser Entscheidung den Kindern den Eintritt und das Bestehen in der Gesellschaft erschwert. Es mag dann natürlich an vielen Faktoren liegen, aber oft ist die Gesellschaft auch hart und (vor)verurteilt Eltern die andere Wege gehen, im Sinne von „egoistisch“, „nicht kindgerecht“, „am Leben vorbei“ „nicht normal“. Wie wehrst du dich gegen solche Vorwürfe (ich bin mir sicher, dass auch dieser Beitrag nicht nur Zuspruch in voller Linie bringen wird)? Was sagst du solchen Eltern? Dein Kind hat es ja nicht aktiv entschieden nicht den Kindergarten zu besuchen – die Entscheidung hast du für das Kind getroffen. Ich will damit sagen, dass du im Video mehrmals erwähnst „ihr braucht das nicht mit der Kita“, aber woher weißt du denn, ob dein Kind (Kinder) das nicht braucht oder es nicht doch sogar Freude bereiten würde?
Tina: Ja, das stimmt schon. Ich muss sagen, ich wehre mich dagegen gar nicht. Ich sehe, dass es uns mit dieser Entscheidung gut geht und dass es eben genau das ist: unsere Entscheidung, unser Leben. Ich würde niemals zu jemandem hingehen und sagen, er solle es genauso machen. Ich erwarte auch nicht, dass alle jubilieren und schreien „Hurra, das machst du prima!“ Wir haben gesunde, glückliche, weltoffene Kinder. Und ich kenne meine Kinder ja. Ich denke, Maggie könnte es später durchaus Freude machen und da sage ich auch nicht rigoros „Nein, du darfst nicht in den Kindergarten“. Ich weiß aber, dass das für Milan nichts wäre. Milan ist – genau wie ich selbst es bin – hochsensibel. An guten Tagen hält er in großen Gruppen ein, zwei Stunden durch, an weniger guter ist er nach kurzer Zeit schon total überreizt. Auch nach einem Omatag braucht er mindestens einen Tag, um das Erlebte zu verarbeiten – und bei meiner Mama ist es nun wirklich nicht super aufregend, sie wohnt ländlich-ruhig mit großem Garten und viel Idylle. Täglich einige Stunden mit vielen Kindern auf engem Raum, mit vielen Geräuschen, Gerüchen, Eindrücken, das würde ihn vollkommen aus dem Gleichgewicht bringen. Ich handle ja immer nach bestem Wissen, ich überdenke, wäge ab und treffe dann Entscheidungen – aus (eigener) Überzeugung und nicht, weil mir das jemand so sagt oder „weil es so gemacht wird“. Sicher ecke ich damit an und sicher treffe ich auch Entscheidungen, bei denen ich später merke „Hm, würde ich heute anders machen!“, aber ich handle immer selbstbestimmt und eigenverantwortlich. Sollten meine Kinder später zu mir kommen und sagen „Mama, das und das fand ich richtig blöd von dir“ ist das auch in Ordnung, aber ich kann ja nicht in die Zukunft schauen. Also entscheide ich jetzt so, wie es sich für mich richtig anfühlt und sehe, was daraus wird.
Liebe Tina, wir danken dir für das Interview und werden gespannt eure Entwicklung und die nächsten Jahre (du musst also weiterbloggen) mitverfolgen Es könnte eine große Veränderung sein, wenn dieses Thema mehr in die Öffentlichkeit gerückt wird und gerade in dieser zeit, wo alternativ eine größere Bedeutung bekommt, ist es gut, dass über schulfrei und freilernen gesprochen wird.
Wenn du dich auch für Tina und Freilernen interessierst findest du hier ihre Instagramseite: https://www.instagram.com/froschferkel/
Freilerner sollen alle eltern sein.Es richtig verleztend zu sehen wie vor der Lernortzeit in so eine Kinderunterbringung geschickt werden.Ich kann das gar nicht sehen wie Eltern ihre kinder in diesen Einrichtungen stopfen.So etwas ist furchbar.das sind richtige Eltern hier auf dieser seite.es ist selbstverständlich wenn kinder nicht in diese Einrichtungen gehen.
Alle Eltern, die hier losschreien (oder es gerade noch unterdrücken können ;-)) sollten einmal in die Geschichte der BRD zurück blicken.
Dort war es völlig normal, dass Kinder nicht in den Kindergarten gegangen sind und erst mit dem Schuleintritt eine „Institution“ kennen gelernt haben.
Die waren nicht alle dumm, egoistisch, nicht gesellschaftsfähig, …einige natürlich schon, aber auch der Kindergarten bringt nicht nur „tolle“ Kinder hervor.
Jedes Kind ist einzigartig, egal wie es seine Zeit bis zum Schuleintritt verbringt.
Ich selbst bin auch nie in einen Kindergarten gegangen, einfach weil meine Mutter damals keine Arbeit gefunden hat. Ich habe nichts vermisst, im Gegenteil, ich habe so viel erlebt und gelernt, dass mir der Schulstart extrem leicht gefallen ist und sogar überlegt wurde, dass ich eine Klasse überspringen sollte.
Meine Eltern haben sich dann dagegen entschieden mir ein Jahr meiner Kindheit „zu stehlen“.
Hallo Aless,
klar, wenn man nur die damalige BRD betrachtet, dann mag das sicherlich ganz normal sein, dass Frauen zu Hause blieben und die Kinder somit auch, aber in der DDR beispielsweise war das eher untypisch und hatte seltenheitswert, wenn eine Frau zu Hause geblieben ist, um sich um die Kinder zu kümmern… Und heute gibt es für jedes Kind einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz, selbst wenn die Mutti freiwillig oder unfreiwillig zu Hause bleibt, denn selbst der Staat hat erkannt, dass Kinder soziale Kontakte zu gleichaltrigen brauchen… Sicherlich werden aus Kindern, die nicht im Kindergarten waren nicht automatisch assoziale, hinterhältige, dumme, etc. Menschen, aber spätestens beim Thema Schule sollte man aufhören zu sagen „ach nee der kommt nicht so gut mit anderen Menschen klar, wir lassen ihn lieber zu Hause“… Wie gesagt, wo hört das dann auf? Spätestens im Beruf holt einen das dann wieder ein… Wie gesagt es gibt auch für Kinder, denen soziale Kontakte und stillsitzen, etc. nicht so leicht fallen genug Alternativen zur typischen Schule und die Alternative muss dabei nicht heißen „ach wir lassen das Kind mal eben zu Hause, das ist das Beste, wenn wir ihm diese Erfahrung ersparen“…
Ich finde es ist ein sehr schwieriges Thema… Sicherlich ist jedes Kind einzigartig und individuell, aber in unserem Freundeskreis habe ich die Erfahrung gemacht, dass auch scheue zurückhaltene Kinder, die das komplette erste Jahr isoliert mit Mama und Papa gelebt und keinen Kontakt zu anderen Menschen hatten ihre Probleme hatten, als es dann in die Krippe ging. Aber früher oder später haben sich alle Kinder daran gewöhnt und gehen heute gern in die Kita. Ich denke wir übertragen häufig nur unsere schlechten Erfahrungen und unsere Ängste auf unsere Kinder und nur weil für uns die Schule mega sch**ße war und man vielleicht zu den Außenseitern gehört hat, haben wir Angst, dass es den Kindern genauso geht und das wollen wir in jedem Fall verhindern. Das ist sicherlich total verständlich, dass liebende Eltern das tun, aber muss nicht immer der richtige Weg sein. Keine Frage die Lehrpläne waren damals schon zum Teil totaler Schwachsinn und sind es heute noch, da werden Themen durchgekaut, die nach der Schulzeit keine Sau mehr interessiert und wichtige Dinge, die man auch im späteren Leben benötigt werden und hilfreich sind werden dann in den Verantwortungsbereich der Eltern übergeben. Aber dennoch finde ich, dass sowohl Kindergarten als auch Schule ein wichtiger Teil des Lebens und der kindlichen Entwicklung sind. Der Kindergarten soll nicht nur bildungstechnisch auf die Schule vorbereiten, sondern auch sozial, die Kinder sollen auch mal mit gleichaltrigen spielen, rumalbern und quatsch machen, sich mal gegenseitig ärgern und ums Spielzeug streiten und lernen sich durchzusetzen. Dieses Lernen ist mit Erwachsenen oder jüngeren/älteren Kindern nicht immer vollständig möglich, ist aber wichtig, um auch den Charakter zu stärken für die Arbeitswelt. Und für Kinder, die in größeren Gruppen nicht klar kommen, auch nach einer ganzen Weile nicht, gibt es Kindergärten mit kleinen Gruppen und Tagesmuttis, die deutlich weniger Kinder haben, als ein üblicher Kindergarten. Und auch wenn Kinder im Schulalter sich noch nicht an größere Menschenmengen gewöhnt haben gibt es Schulen, in denen es kleine Klassen gibt und auch gewisse Konzepte, die den Kindern kein pausenloses stillsitzen, zuhören und „blöd vor sich hin lernen“ abverlangt. Es gibt heute zahlreiche Schulen, die sich an Montessori, etc. orientieren, wo die Kinder sich gegenseitig helfen, frei lernen und selbst bestimmen können wann sie lernen, was sie lernen und wie… Wie wird Milan in die Arbeitswelt starten, wenn er nicht zur Schule gegangen ist und auch nach seinem Abschluß nicht mit größeren Menschenmengen klar kommt? Macht er dann eine Ausbildung bei seinem Vater in der Firma, damit er nicht das Problem hat in einer Firma mit vielen Mitarbeitern zusammenarbeiten zu müssen? Geht er dann auch nicht zur Berufsschule, weil dort zu viele andere Menschen sind? Und falls er studieren möchte geht nur ein Fernstudium am heimischen PC? Wo sind da die Grenzen des Freilernens? Selbst wenn man die Schule vermeiden/ umgehen kann, wird man früher oder später mit größeren Menschenmengen lernen müssen umzugehen, warum also dann nicht lieber im Kindesalter, wo die Kinder noch relativ aufgeschlossen sind und spielerisch lernen?! Als Erwachsener knüpft man da deutlich schwieriger Kontakte, da kann man nicht mal eben mit ein paar Bausteinen zu einem anderen Erwachsenen gehen und übers gemeinsame Türmchen bauen und umwerfen Kontakt knüpfen und Freundschaften schließen…
Hallo und ich finde es gut, was Tina macht. Sie geht doch sehr verantwortungsvoll mit diesem Problem um und möchte einfach das Beste für Ihre Kinder. Ich wünsche ihr dabei viel Erfolg. Leider können manche Eltern diese Gedanken nicht aufnehmen, da sie es materiall nicht schaffen würden. Von seiten der Gesellschaft sollten die Eltern aber generell die Möglichkeit haben, diesen Weg zu wählen, egal wie die finanzielle Situation ist. Es gibt nun mal Kinder, die mögen einfach nicht, so viele Kinder um sich herum und sie wollen lockerer lernen. Wir hatten auch einen Sohn, der im Kindergarten und auch die ersten Jahre in einer Freien Schule recht unglücklich war. Aus dem Kindergarten konnten wir ihn heraus nehmen, aber die Schule konnten wir ihm nicht ersparen, leider. Er hat dann ein tolles Abi hingelegt, studiert und hat heute eine verantwortungsvolle Tätigkeit.
Ich finde eure Berichte immer sehr gut.
Viele Grüße
margit
Der Blogeintrag ist zwar nun schon eine Weile her, dennoch möchte ich mich zum Kommentar von fabulousbrina äußern:
Wie sich Menschen in einer Gruppe, später in der Schule oder im Beruf fühlen oder „eingliedere können“ , wie du es so schön nennst, hat nicht im geringsten damit zu tun, ob sie in der Kita oder im Kindergarten waren. Wie sie bereits vor der Schule durch Kita oder Kiga „abgehärtet“ wurden oder nicht. Es gibt nun mal Menschen, die zurückhaltender sind und denen Gruppen nicht liegen, insbesondere sogenannte hochsensible Menschen. Sie werden so geboren, es ist ihr Naturell bzw. ihr Typus. Auch ich war ab 4 im Kindergarten und ich fand Kindergarten einfach nur furchtbar. Wenn auch meine Leistungen in der Schule top waren, so hat mich das ganze Drumherum in der Schule mit großen Klassen sehr gestresst. Heute bin ich erfolgreich im Beruf , komme bestens mit den Kollegen klar und ich zähle mich zu den Menschen, die sich ungern alles vor die Nase setzen lassen noch ständig anpassen wollen. Und DAS ist es, was wir unseren Kindern vermitteln sollen: Nicht zu allem Ja und Amen zu sagen, sondern kritisch zu hinterfragen und auch mal unbequem zu sein. Gäbe es nur brave, angepasste und unauffällige Menschen und gäbe es nicht Menschen, die Normen und Dinge hinterfragen, dann hätten wir noch kein Frauenwahlrecht und die Prügelstrafe.
Achja, und zu deiner Aussage „..der Staat hat erkannt, dass Kinder soziale Kontakte brauchen..“ Diese sozialen Kontakte haben Kinder durch ihre Familie und es sind die besten sozialen Kontakte, die man einem Kind, vor allem unter 4 Jahren, bieten kann! Zu frühe Fremdbetreuung – das ist inzwischen hinreichend wissenschaftlich erforscht – schadet den Kindern langfristig.
Dass die Frauen in der ehem. DDR zur Arbeit gingen, war dem System geschuldet. Frauen in die Produktion, Kinder in die Ganztagsbetreuung! Nicht der Emanzipation!
Viele meiner Freunde, die in (Ganztags- oder gar Wochen)-kitas in der ehem. DDR waren, sind noch heute traumarisiert aus dieser Zeit. Ich kenne nicht einen, der diese Zeit als schön oder unbeschwert beschrieben hat. Töpfchentraining, Essenszwang & Co. waren an der Tagesordnung. In vielen Kindergärten in der damaligen BRD übrigens auch…
Es ist hilfreich und sicher gut, dass es heutzutage für jedes Kind einen Betreuungsplatz ab 1 Jahr gibt. So können Frauen, die arbeiten müssen, dies tun oder aber haben, sofern finanziell möglich, die Wahl, ob sie bei den Kinder zu Hause bleiben möchten oder arbeiten gehen.
Wie es dem Kind damit geht, mit U4 eine Kita zu besuchen, das steht auf einem anderen Blatt.
Der Staat ermöglicht uns Frauen dies aber in erster Linie, damit wir als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und dem Staat Steuereinnahmen bescheren. Und nicht, weil soziale Kontakte mit anderen Kindern so wichtig sind.