Das Baby, dass ich vor mehr als 5 Jahren geboren habe, steht stolz neben mir und berichtet davon, was für ein großer Schulanfänger er ist und welch spannende Zeit da nun vor ihm liegt. Es ist irgendwas zwischen halb fünf und um fünf und wir sind gerade auf dem Weg zur Schulanmeldung. Als das Auto hält, habe ich den innerlichen Drang den Gurt noch ein Stück fester zu machen und das Auto zu verriegeln, um ja niemanden das Aussteigen ermöglichen zu können. Mein Baby von damals strahlt mich jedoch an und zeigt auf die Schule und sagt: „Jetzt ist es soweit, ich bin ein richtiges Schulkind“.

Blog vom loslassen

 

Mir ist komisch im Magen, eigentlich sollte ich mich jetzt freuen oder nicht? Eigentlich sollte ich voller Enthusiasmus in das Schulgebäude stürmen und sagen: „Yes, you can!“, eigentlich sollte ich begeistert sein, eigentlich ist es doch auch für mich wieder ein Stückchen mehr Freiheit und neue Aufgaben und doch bleibt mir alles im Halse stecken; und da war es – das böse Schild -, dass ich nie vergessen werde. Es hängt unscheinbar am Schuleingang und schaut mich an und dann lese ich diesen fast mantraartigen Spruch darauf: „Liebe Mama, lieber Papa – ab hier kann ich alleine gehen.“ Dieser Satz schlug in meinem Kopf ein wie eine kleine Bombe, wenngleich es natürlich auf das Betreten der Schule bezogen ist, aber für mich war es in Verbindung mit der Anmeldung eine ganz neue Dimension, die ich bisher wohl irgendwo im Hinterstübchen abgestellt hatte und darin 3fach verschlossene aufbewahrte.

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Wo ist die Zeit?

Ich sitze im Wartebereich, nein: ich sitze im Speiseraum der Schule mit meinem Baby von damals und schaue ihn löchernd an. Plötzlich kommt er mir so groß vor und seine Wortwahl ist auch so weit weg vom Kleinkind, dass es manchmal fast unheimlich wirkt. Ich starre auf seine Hände. Sie sind sauber, gepflegt und riesig. Wo sind nur die Patschehändchen hin, die mir damals verklebt an meinen Haaren gezogen haben? Diese großen Augen hat er immer noch und unheimlich lange Wimpern, aber ich sehe diesen unschuldigen Babyblick nicht mehr. Vielmehr schaut er interessiert und doch etwas unsicher umher und beäugt die anderen wartenden Eltern und Kinder. Er lächelt kurz und wirkt stolz. Ich lächle ihm gutmütig zurück und frage mich, wie das so schnell gehen konnte und wo die Zeit hin ist.

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Eigentlich ist die Frage total überflüssig, denn ich weiß wo sie ist: Sie ist weg, sie ist verstrichen und sie ist vorbei. Mein Baby von damals kann nun alleine gehen. Vielleicht nicht vollkommen alleine, aber doch wieder ein bisschen mehr alleine, als in der wohl behüteten Kindergartenzeit. Manchmal fühle ich mich schlecht, als hätte ich die Jahre gar nicht genügend aufgesaugt oder gelebt. Als hätte ich nicht jede verdammte einzelne Minute bis hier hin in vollsten Zügen genossen und eingraviert und doch weiß ich, dass wir wundervolle Jahre bis hier hin hatten, gespickt mit Höhepunkten, natürlich auch gespickt mit Tiefpunkten. Er scheint glücklich zu sein mit dem wie er ist und was er ist und trotzdem werde ich das blöde Gefühl nicht los, dass mir von dieser kostbaren Zeit der Kindheit immer weniger bleibt. Seine Zeit als Baby oder Kleinkind ist nicht mehr greifbar für mich, egal wie sehr ich das wünsche – es bleibt nichts, bis auf einige Fetzen der Erinnerung, ein paar Andenken und ein paar Fotos, die von diesen Tagen zeugen. Vielleicht würde ich aus heutiger Sicht manches nochmal intensiver erleben wollen, manches versuchen, was ich nicht versucht habe und ich würde vielleicht sogar etwas selbstsicherer als Mutter auftreten…aber es ist zu spät. Diese Zeit kommt nicht wieder und genau das wird mir gerade ziemlich deutlich.

Das dumme Gefühl

Ich kann es nicht verhindern, dass sich neben Stolz auch ein paar Trauertränen bei mir unterjubeln. Versteh mich nicht falsch, natürlich freue ich mich für ihn, bin unendlich stolz und finde es toll, dass er größer wird, doch fühle ich mich dabei manchmal wie eine durchgeknallte Mutter mit völligem Dachschaden. Man sagt doch so schön: Es muss sich erst ein Kapitel schließen, um ein Neues öffnen zu können. Das Problem ist aber, dass ich ein schönes Kapitel realistisch betrachtet gar nicht schließen möchte. Viel realistischer betrachtet, ist es aber nicht möglich ein Kapitel auf ewig offen zu halten und es zu schaffen, dass Vergangenheit anhält und Zukunft anbricht.

Aber was läuft denn falsch? Alle anderen Mütter links und rechts neben mir scheinen vor Stolz und Freude fast zu platzen. Oft scheint es mir sogar so, als können sie es kaum abwarten, dass die Kinder groß sind und endlich auf eigenen Füßen stehen und ich verbinde schon das Thema Einschulung mit Verabschiedungen. Tschüss Kindergartenzeit, Tschüss kindliche Unbekümmertheit, Tschüss Unbeschwertheit, Tschüss „in den Tag mit ihm hinein leben können“, Tschüss sorglose Welt, Tschüss Welt, die frei ist von Zwängen ist und frei von dem Gefühl für die Gesellschaft „rakern zu müssen“. Irgendwie beschleicht mich zugleich aber auch das beruhigende Gefühl, dass es anderen Müttern vielleicht doch genauso geht. Ich denke oft an meine Mutter, die zur Schuleinführung Tränen vergossen hat. Waren das wirklich NUR Freudentränen oder ist sie dann mindestens genauso durchgeknallt wie ich? Oder bei der Kitaeingewöhnung – Sind das Freudentränen oder einfach dieses unbändige Gefühl, dass sich mal wieder ein Kapitel schließt? Ich richte mich auf schaue mich um, sehe die anderen Mütter an und würde am liebsten ganz laut rufen: „Na, gehts euch auch so komisch wie mir mit der Vorstellung?“, aber ich traue mich nicht, zu groß ist die Angst, dass ich „anders bin“…

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Wir werden aufgerufen und der Große springt auf. Als er losrennen möchte, dreht er sich zu mir um und schaut, dass ich auch wirklich hinter ihm herlaufe und er nicht alleine gehen muss und da weiß ich, dass Loslassen zwar dazu gehört und ja, das Loslassen weh tut, aber das nichts und niemand unser geknüpftes Band durchtrennen könnte – keine Zukunft, kein nächster Schritt und auch nicht dieses blöde mantraartige Schild am Schuleingang mit der Aufschrift „Ab hier kann ich alleine gehen“.

<3 Sabrina